Riku - Kingdom Hearts 2
riley less than 9 dives________________________________________into some

undergrounds

______with text
<unmenschlich und langweilig:
der white cube als social media taktik>

[2023 February 11] -> english

preface

Der white cube ist die drohende Leere. Kunst, Gemälde und Skulpturen kämpfen schon seit Jahrzehnten gegen ihre eigene Bedeutungslosigkeit an, die sich ihnen in solchen Räumen unweigerlich anheftet.

Als Gefängnis der Ideen halten Museen mit weissen Wänden die ausgestellte Kunst als Geisel. Aus Mitleid machen sich Museumsgänger*innen auf und sprechen den einsamen Fotographien und Installationen Trost zu: Wenn stumme Blicke und ausdruckslose Minen denn als Trost gelten können. Der white cube saugt jegliche Emotionen auf und lässt monochrome Rationalität zurück, die am Empfang mit dem Kauf eines Souvenirs umgetauscht wird.

Und in der Nacht weinen die gesponnenen Farben und Mustern auf den Bildern und Formen aus ihrer wachsenden Einsamkeit heraus.

Der white cube hasst sich selbst. Er ist sich seiner einzigen Funktion als Vakuum bewusst. Er ist kein Schurke aber auch kein Held, sondern das tragische Ergebnis eines Kunstverständnisses, das «peinliche Basteleien» von «hochqualitativen Erzeugnissen menschlichen Schaffens» trennen möchte. Es versucht Kunst von der Welt zu trennen. Es strebt Kunst rein zu machen und den fehlerhaften Menschen (mit seinen Patschehändchen) von ihr fern zu halten. Es tötet die Kunst, denn kein Ding auf der Welt lebt mit einem gebrochenen Herzen arg lange.

Das beschränkt sich nicht auf Museen. Der white cube lauert hinter jeder Ecke. Jüngstes Opfer ist das Internet. Es gibt etliche Blogs, die sich schon mit dem Phänomen der Kommerzialisierung des Internets und der damit eingehenden Zentralisierung desselben auseinandergesetzt haben.

Dabei kommt auch die Internet-Ästhetik zur Sprache, die immer langweiliger wird. Damit sind nicht Logos von grossen Internet-Firmen gemeint, die immer flacher geworden sind, sondern die Anordnung von Elementen auf Websites, die Grösse der Fonts und Einsatz von Farben, etc. Selbst internationale Firmen hatten vor zwanzig Jahren noch eine Persönlichkeit. (Also... im Web jedenfalls lol.) Ihr Internet-Auftritt war einprägsam und nicht komplett austauschbar wie heute. Probiere es selbst aus: Schau mit der Wayback Machine nach, wie millionenschwere Firmen sich präsentiert haben, bevor der white cube zugeschlagen hat. Auch Nintendo ist inzwischen der Konformität verfallen:

2003 existierten beinahe noch keine weisse Flächen. Die Seite war auf kompakte Funktionalität ausgelegt und nicht auf weite Hintergründe, mit denen keine Interaktion möglich ist. Der Inhalt der Seite war eingerahmt von einer verspielten Form, die wichtige Punkte wie die Suche, das Logo oder das Log-In visuell herausstechen lässt. Und das Wichtigste: Die Website hatte Identität. Heute hingegen surfe ich auf Seiten umher, die zwar allesamt nichts miteinander zu tun haben (Versicherungen/Garten-Center/Kino-Programme) aber sich zum Verwechseln ähnlich sehen. Wenn das diese sogenannte Professionalität sein soll, bleibe ich viel lieber auf immer ein Amateur, das nichts verstanden hat.

Vielleicht denken sich jetzt manche von euch: Na ja, aber immerhin sind die Dinge im Netzt jetzt übersichtlich. Erstens glaube ich das nicht. Denn dieses Design, das sich selbst sogar uninteressant ist, führt das Auge der Betrachter*innen ganz und gar nicht. Wir wissen nur, wo sich die Navigation, die Suche und das Impressum befinden, weil wir uns daran gewöhnt haben.

Zweitens sind nicht nur Internetauftritte von Personen und Firmen davon betroffen, sondern Soziale Netzwerke genauso schwer.

Der soziale Austausch im Internet war immer schon kuratiert. Simple Chat-Programme – wie dem Ajax Chat – bestehen zwar nur aus einfachen Textfeldern, aber Modifikationen an dem Programm geben den Usern vor, wie sie ihre Nachrichten gestalten (kursiv, unterstrichen, Font, Farbe...) und was für Dateien (JPG, GIF, MP3...) in den Chat gesendet werden können. Dasselbe geschieht in Foren: Der Administrator gibt vor, wie gross der Avatar sein darf, wie qualitativ hochwertig Forum-Beiträge sein müssen und was für Nicknamen erlaubt sind. Zusammengefasst: Die Betreiber*innen geben Usern vor, bis zu welchem Grad sie sich entfalten dürfen und wie viele Möglichkeiten ihnen für den eigenen persönlichen Ausdruck gestattet werden. Geregelt wird das entweder im Code selbst (Dein Avatar darf nicht grösser als 150x150 Pixel sein.) oder Moderator*innen schalten sich ein, falls dein Post gegen Richtlinien der Seite verstösst.

Im letzten Jahrzehnt ist klar geworden, dass sich nicht die persönliche Entfaltung durchgesetzt hat, sondern der white cube.

Zusehends wurden den Usern ihre Gestaltungsmöglichkeiten genommen, während die grossen Internet-Plattformen immer weiterwuchsen. Ob es hier einen Zusammenhang gibt, weiss ich nicht. Vielleicht liegt es daran, dass Internet-Firmen mehr Menschen (am liebsten alle) ansprechen wollen und darum die Einstiegsschwelle ihrer Plattform herunterdrücken. (Und natürlich ist es auch einfacher innerhalb «aufgeräumten» Designs auffallende Werbung zu platzieren.)

ein paar beispiele:

Bevor Netzwerke wie Discord und Reddit explodierten, existierten viele verschiedene Foren zu jedem Thema in mehreren Sprachen. Wenn auch die meisten entweder mit den Baukästen von phpbb.de oder vbulletin.com gebaut wurden, waren auf den Profilseiten der User immerhin textlich und mit den Signaturen unter den Beiträgen auch visuell eine breite Personalisierung möglich. Ausserdem interagierten Administrator*innen und Moderator*innen in der Regel mit den Usern, wodurch sie im Sozialen Austausch miteinbezogen wurden, was auf den heutigen grossen Sozialen Netzwerken nicht der Fall ist. User konnten so unter Umständen auf das Aussehen und der Funktionen der Plattform Einfluss nehmen.

Auf Discord und Reddit verschwinden die User beinahe und ihnen bleibt fast nur noch ein Nickname und ein kleiner Avatar. Im Mittelpunkt stehen die Nachrichten, Beiträge und die Interaktion (Upvotes/Downvotes) – also der sogenannte «Content». Der Rest wird vom white cube verschluckt zugunsten einer Homogenisierung und reinen Darstellung von Text und Bild.

Ähnliches ist YouTube widerfahren. Während die User zu Beginn noch so viel Freiraum hatten, dass einige Kanal-Seiten wie eigene Websites aussahen, ist heute nur noch der Avatar, ein schmaler Banner und der Nickname veränderbar. Im Zentrum stehen jetzt die Videos und nicht mehr die Videomacher*innen oder Zuschauer*innen.

Dasselbe passierte mit klassischen Sozialen Netzwerken, die auf Kommunikation zwischen Freund*innen ausgelegt waren und sind. Mit MySpace liessen sich noch tiefgreifende Änderungen im eigenen Profil vornehmen. Mit Facebook ist das nun vorbei. Inzwischen haben sich jedoch auch Gegenbewegungen zu diesem Trend herauskristallisiert. SpaceHey.com ist bspw. ein geistiger Nachfolger von MySpace und hat seine Nische gefunden. Ebenfalls machen ein paar Leute immer noch eigene Websites, coden sie selbst mittels HTML/CSS und hosten sie etwa über Neocities. Wie auch diese Seite hier!

Instagram und Twitter stehen exemplarisch für den white cube. Fotografien und Texte werden in einem weissen Vakuum dargestellt. Ich möchte damit übrigens nicht sagen, dass ich etwas gegen die Farbe weiss habe. (Erst letztens habe ich mir eine weisse Latzhose geholt!) Das Problem liegt darin, dass User ihre Persönlichkeit im Internet nicht mehr ausdrücken können. Sie müssen sich einem Gitter der Konformität ergeben, wenn sie mitspielen möchten. Ich sage es nochmal: Das Weiss der heutigen Sozialen Netzwerken ist keine Farbe, sondern ein Vakuum. Und das entwertet User und Kunst

Das zeigt sich beispielhaft bei TikTok, das den white cube (nebst im Design) konzeptuell umgesetzt hat: Auf TikTok ist alles «Content». Du kannst zwar Usern folgen, bleibst aber hauptsächlich auf der «for you page», wo dir unendliches Videomaterial gezeigt wird. Zwischenmenschliche Interaktion gibt es eigentlich nicht mehr. Selbst Videos zu kommentieren fühlt sich anonym an, weil die Kommentarspalte unglaublich steril aufgebaut ist. Wie auf Instagram sehen auch die Profile alle austauschbar aus.

Auf TikTok gibt es in diesem Sinne keine Individuen mehr. Der white cube hat sich durchgesetzt und die Kunst vom Menschen vollständig getrennt. Deswegen geraten Videos auf TikTok wohl auch so schnell in Vergessenheit und werden durch neue ersetzt. (Warum soll ich mich eine längere Zeit mit einem Gegenstand auseinandersetzen, der keine Menschlichkeit in sich trägt? Der sogar Menschlichkeit abstösst? Mich persönlich abweist?) Ich möchte nicht wissen, wie einsam sich diese Videos fühlen müssen, die an einem Ort geboren wurden, der sich nicht um sie schert. Denn dem white cube ist alles gleichgültig. Sogar sich selbst. Darum wird sich TikTok wohl oder übel noch in diesem Jahrzehnt selbst abschaffen. (okay hot take lol)



Der Mensch verschwindet zusehends aus dem Internet. Internet-Konzerne wollen uns nicht. (Während sie behaupten die Welt zu demokratisieren.) Und Kunst benutzen sie lieblos als Werkzeug – als «Content», um die Bildschirmzeit der User hochzuhalten. Wahrscheinlich schämen sie sich selbst dafür, wie sie mit den Leidenschaften ihrer Usern umgehen und schaffen es deshalb nicht diesen «Content» als das zu benennen, was er tatsächlich ist: textuelle, visuelle und auditive Kunst.

Damit der Mensch nicht völlig aus dem Internet fällt und dass (Internet-)Kunst wieder geliebt und gewürdigt werden kann, gibt es nur zwei Lösungen:

  1. Lern zu coden!! Lern am besten schlecht zu coden! Dann kannst du mit deinen Freund*innen zusammen schlecht coden!




  2. Kapitalismus kaputt machen, tja...
<⁄unmenschlich und langweilig:
der white cube als social media taktik>